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Streetchess ist auch Speedchess

Der autofreie Sonntag fand in Hamburg in diesem Jahr am Tag des Sommeranfangs statt, dem 21. Juni. Im Schatten der Nikolaikirche auf der Willy-Brandt-Straße am Hopfenmarkt hatten wir dank der Organisatoren Scholz & Friends ein schönes Areal zwischen den Hamburger Kickern und den Bobbycar-Fahrern. Die Heute-Nachrichten vom Vorabend hatten „durchwachsenes“ Wetter angekündigt, aber mit einer deutlichen Tendenz zur Freundlichkeit. Und tatsächlich war es in den sonnigen Phasen, die es vormittags und mittags auch immer wieder gab, sogar richtig warm und angenehm.

Ab 11 Uhr gab’s die ersten Spaziergänger, ab 12 Uhr strömten die Massen und bevölkerten auch unsere Schachszene. Selbst Fahrradfahrer, unterwegs auf diversen Sternfahrten, machten bei uns Halt und stiegen sogar für eine Partie vom Rad. Sie wurden von einem großen HSK Team empfangen: Neben den "Chess-Engines" Christian Zickelbein und Andreas Albers waren auch die Meister Merijn van Delft und Marta Michna und viele Freunde aus dem Klub dabei: Nils Altenburg, Madjid Emami, Marianne und Wilhelm Graffenberger, Bernd Grube, Gunnar Klingenhof. Michael Lucas, Jan Meder-Eggebert, Willie Rühr, Maik Tharang, Eva Maria Zickelbein und die Jugendmeister Arne Bracker, Frank Bracker und Harout Dalakian.

Zum Anlocken des schachinteressierten Publikums spielte Merijn van Delft erst einmal zwei kommentierte Blitz-Handicap-Matches, in denen er sich gegen starke Gegnerschaft ziemlich strecken musste. Schnell waren dank der Kommentatoren Christian Zickelbein und Andreas Albers die Ränge hinter den Akteuren dicht besetzt. Hier wurde Streetchess zum Speedchess, denn der Internationale Meister musste in fünf Minuten gleichzeitig vier Partien gegen vier starke Gegner spielen! Auf unserem Foto (s.o.) führt der Internationale Meister Merijn van Delft in seinem ersten Blitz-Handicap 3-0, aber die letzte Partie gegen Jonas Lampert wird er verlieren.

Inzwischen waren auch die Nachwuchsstars aus Hamburg und Schleswig-Holstein eingetroffen, Jonas Lampert vom HSK und Rasmus Svane vom Lübecker SV, zwei der stärksten deutschen Nachwuchsspieler in ihrer Altersklasse U12. Die beiden spielten an 12 Brettern simultan, wobei sie sich beim Ziehen immer abwechselten, jeder also die Pläne seines Partners ohne Absprache erfassen musste - eine Verabredung, die die Aufgabe der Simultanspieler noch erschwert.

Eine Hauptattraktion des Simultanspiels war die Performance von Dr. Hauke Reddmann (Foto oben l.), der per Fahrrad aus Wilhelmsburg gekommen war und sich spontan „auf die falsche Seite“ beim Simultan setzte: Beim großen Werbeturnier der Hamburger Schulen „Rechtes Alsterufer - Linkes Alsterufer“ im CCH gehört der Hamburger Spitzenspieler selbst zu den Simultanspielern, gegen die viele Kids spielen dürfen. Hier setzte er sich nicht nur auf die falsche Seite, sondern auch „falsch herum“. Er spielte seine Partie ohne Ansicht des Brettes und war dennoch der einzige, der die beiden jungen Meister im Endspiel bezwang - in der Eröffnungsphase hatte Rasmus Svane noch keine Probleme.

An Nebenschauplätzen wurden laufend Blitzturniere mit 6 bis 8 Teilnehmern gespielt - die Sieger wurden mit wertvollen ChessBase-DVDs belohnt, wie auch alle, die beim Simultan ein Remis oder sogar einen Sieg erreichen konnten. Weiterhin konnten Anfänger die Schachregeln bei einem der erfahrensten Trainer in Hamburg, Willie Rühr (Foto unten l.), erlernen, und auch für freie Partien gab es noch genug Platz, u. a. auch am großen Bodenschachspiel.

Die beiden Düsseldorfer Touristen z.B. waren froh, ihren Hamburg-Besuch mit einer intensiven Schachlektion „krönen“ (O-Ton) zu können. Das Hamburger Abendblatt zitierte in seiner Reportage Willies Lob für die von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Auftrag gegebene Veranstaltung: „Und der Schachclub Hamburg hatte die freie Willy-Brandt-Staße kurzerhand zum Öffentlichen Turnierfeld gemacht. ‚Wunderbar, wie sich hier die Menschen die Stadt vom Auto zurückerobern können’, sagte Schachtrainer Wilfried Rühr (60).“

Ein weiterer Höhepunkt folgte nach dem Simultan, als der Autor von Fritz & Fertig und Schulleiter an der Ganztagesschule Fraenkelstraße, Björn Lengwenus (Foto oben l.), die Bühne bestieg und ein rasantes Blitzmatch kommentierte. Maximilian Schrader von den Schachelschweinen Hamburg und Tobias, sein finnischer Gast von der deutschen Schule in Helsinki, hatten nur drei Minuten Zeit für die erste Partie. Dem Sieger einer Partie wird eine Minute abgezogen, gewonnen ist das Match erst, wenn einer eine Partie mit nur einer Minuten gewinnt; der Fachbegriff lautet Stufenblitz. Im Stile eines Radio-Fußballreporters kommentierte Björn Lengwenus das Geschehen auf dem Brett dermaßen mitreißend, dass sich schnell eine große Menschentraube um die Bühne bildete und verfolgte, wie Maximilian das Match mit der vierten Partie knapp für sich entscheiden konnte.

Danach ging's wieder etwas ruhiger zu, denn die Großmeisterin Marta Michna kam zum zweiten Simultan. Sie spielte zunächst gegen 12 Gegner, nahm aber weitere Spieler an, wenn ein Brett frei wurde, so dass es mehr als 20 Partien wurden. Sie gab ein Remis gegen Lars Janzen ab und musste nur einmal aufgeben - gegen Lutz Franke von Union Eimsbüttel. Das Simultan von Marta wurde auch schon von einer kleinen Husche gestört, aber die Gentlemen aus dem Klub, erst Arne Bracker und dann Merijn van Delft, schützten die Großmeisterin mit dem "Spiderman-Schirm" ihres Sohnes Milos gegen den Regen, so dass sie trockenen Fußes die Bretter abschreiten konnte - ein Privileg der Großmeisterin, denn ihre Gegner hielten trotz des stärker werdenden Regens aus und spielten tapfer zu Ende. Nur Georg Bock vom SV Rapid war besser dran, er wurde von seiner Frau beschirmt!

Es folgte ein hochkarätig besetztes K.o.-Blitz-Turnier auf der Bühne, kommentiert von Merijn van Delft und Andreas Albers, doch dann setzte der Regen wieder ein. Wir hofften zunächst auf einen kurzen Schauer, aber es regnete sich so richtig eins, so dass wir keine Wahl hatten und möglichst schnell dreißig Spielsätze und -bretter sowie einige Schachuhren ins Trockene retten mussten. Die Jungs auf der Bühne ließen sich zunächst nicht beirren, da sie ein wenig durch die großen Bäume am Straßenrand geschützt waren. Als jedoch der Regen in erbsengroße Hagelkörner überging, retteten auch sie sich unter eines unserer beiden Minizelte - und spielten bis zum letzten Match weiter (Finalsieger: der Hamburger Jugendmeister Arne Bracker), während die anderen HSK Helfer inzwischen versuchten, auch die technischen Geräte vor den Wassermassen zu retten.

Nach ihrer Simultanvorstellung ließ sich die Großmeisterin Marta Michna (Foto unten) das Blitzturnier als Zuschauerin nicht entgehen.
Rollentausch: Während des Simultans hatte sich ihr Mann Christian Michna (r.) um Maja gekümmert, jetzt durfte er selbst aktiv werden.

Hier hat der Zweitliga-Spieler des SK Norderstedt in der 2. Bundesliga Schwarz gegen den Hamburger Jugendmeister Arne Bracker. Maja (14 Monate) allerdings wollte lieber wieder raus aus dem kleinen Zelt in den Regen. Mehr Sinn für das Match hatte schon der kleine Zwerg in blau: Lennart Meyling war nach dem Blitzturnier mittags und seinem Schwimmtraining am Nachmittag noch einmal mit seinem Vater in die autofreie Schachszene zurückgekehrt, um noch ein Turnier zu spielen, das leider ins Wasser fiel. Aber Kiebitzen machte ihm auch Spaß!

Leider fegte der Dauerregen mit dem kurzen, aber heftigen Hagel-Intermezzo die Willy-Brandt-Allee leer, so dass auch wir uns fast zwei Stunden früher als geplant ins HSK-Schachzentrum verkrochen, um die Bretter und Figuren für die nächste Aktion am nächsten Morgen abzutrocknen: Von Montag bis Samstag veranstaltet der Klub eine Schachwoche im EKZ Steilshoop! Ein kurzes Interview auf der Bühne von RADIO HAMBURG hatte Christian Zickelbein sogar noch Gelegenheit geboten, für diese nächste Aktion zu werben. Beim Warten auf den Einsatz gab es „backstage“ ein überraschendes Wiedersehen. Nach einigem Zögern erkannte Volker Dumann, der Pressesprecher der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, seinen alten Fachseminarleiter wieder: „Eine Erscheinung, der Mann hat mich mal ausgebildet!“ Leider zu einer Zeit vor fast 30 Jahren, als selbst die besten Lehrer keine Chance im Schuldienst hatten.

Trotz des abrupten Endes haben wir alle diesen Tag sehr genossen: Unser Dank gilt zunächst dem Veranstalter, der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, dann Scholz & Friends für kreative Ideen und eine gute, entspannte Organisation des großen Events und auch unserem Partner bei vielen Aktionen, der ChessBase GmbH, für die großzügige Unterstützung unseres kleinen Beitrags zum großen Event durch Preise. Wir werden im nächsten Jahr gern wieder dabei sein, wenn die Straße wieder zur Begegnung zwischen Menschen genutzt werden soll - dann werden wir uns für den Regenfall mit Zelten ausrüsten, so dass wir unser buntes Programm bis zum Ende durchhalten können.

Für alle, die Street- und Speedchess lieben und nicht ein Jahr warten wollen, bieten wir am Sonnabend, 29. August, im Rahmen des Alstervergnügens und am „Tag des Schachs“ auf der Reesendammbrücke (Ecke Jungenfernstieg/Ballindamm) erneut einen langen Tag mit Meistern und Trainern (vermutlich bis zum Feuerwerk um 22 Uhr)!

Text: Eva Maria und Christian Zickelbein
Fotos: Andreas Albers

 

Dr. Hauke Reddmann - Jonas Lampert & Rasmus Svane

Zum Schluss ein Endspiel, das uns Hauke Reddmann mit einem selbstironischen Kommentar geschickt hat - wenigstens ein Schachdiagramm muss ein Schachbericht doch enthalten: 45.Dh7+ Ke8 46.Dg8+ Ke7 Jetzt gewinnt e5, aber HR sieht nach wie vor nix. Der Generalabtausch gewinnt aber ebenso leicht. 47.Dg7+ Ke8 48.Dxd7+ Kxd7 49.Lxd6 1-0

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