Zurück

Überwintern auf einem Champions League Platz -
der HSK in Feierlaune

Das dritte Bundesliga-Wochenende dieser Saison in der VIP-Lounge des Weser-Stadions konnten wir als „selbsternannter Absteiger“ (Bindlach im Live-Ticker) sehr viel entspannter angehen, als wir selbst und andere („Es kann auch einen der Etablierten erwischen!“) noch vor der Saison geglaubt haben. Trotzdem wollten wir natürlich versuchen, auch nach der sensationellen zweiten Doppelrunde und der vorgezogenen siebten Runde, gegen die Schachfreunde Berlin weitere Punkte zu sammeln und dem starken Aufsteiger Bindlach einen hart umkämpften Wettkampf zu liefern.

Foto oben: Weihnachten im Weser-Stadion: IM Stephan Berndt (vorne am Brett) nahm Sune Berg Hansens Geschenk gern an - doch dazu später mehr.

5. Runde HSK - SF Berlin 5:3
Die Schachfreunde aus Berlin treten seit vielen Jahren mit der gleichen Stammmannschaft an, die zum Teil aus der eigenen Jugendarbeit der ehemaligen Neuköllner kommt - so spielten wir vor 15 Jahren in der Jugendoberliga Nord (heute Jugendbundesliga) schon gegen Stephan Berndt und Lars Thiede! Die Berliner spielten mit dem schwedischen GM Stellan Brynell am ersten Brett und weiter mit den altbewährten Spielern, die auch regelmäßig am Europacup teilnehmen, sich ausgezeichnet vorbereiten und so angenehm Schach und Urlaub verbinden. Im letzten Jahr hatte es ein knappes 4,5:3,5 für den HSK gegeben, hier kamen allerdings die Spitzenbretter Igor-Alexandre Nataf, Evgenij Miroshnichenko zum Einsatz, und 2004 konnten wir Hamburger gar 6:2 gewinnen - das letzte Unentschieden hat es 2003 gegeben.

In diesem Jahr begann der Wettkampf mit einer kleinen Panne: Axel Fritz’ sonst immer sehr zuverlässige Internetübertragung scheiterte, zumindest bei unserem Wettkampf, an einem defekten Kabel, und wir mussten die Partien nach der bewährten „Hamburger Steinzeit-Methode“ mit der Hilfe von Michael Lucas und Reinhard Ahrens vom HSK sowie Torsten Blank von Werder Bremen ins Netz stellen. Dann eine weitere Rarität: Thies Heinemann entschloss sich, mit Schwarz gegen Martin Kraemer eine frühe Zugwiederholung zuzulassen und machte Remis - ungewöhnlich für Thies, der sonst im Schnitt 70 Züge spielt und oft eine der letzten Partien hat. Als er uns am Live-Ticker-Tisch aufsuchte, erklärte er auch, dass er heute mal ein paar Überstunden abbummele.


Live-Ticker: Till Schelz-Brandenburg und Eva Maria Zickelbein

Nach ungefähr zweieinhalb Stunden konnten wir schon eine klare Tendenz erkennen, die uns natürlich sehr gefiel: Lubomir Ftacnik hatte am zweiten Brett gegen Rainer Polzin eine vielversprechende Stellung gegen Königsindisch aufgebaut, und auch Dirk Sebastian hatte am achten Brett mit Weiß eine optisch ansprechende, aktive Stellung gegen Ilja Schneider. An allen anderen Brettern konnten noch keine klaren Prognosen gewagt werden, nur um Jan Gustafsson am ersten Brett gegen Stellan Brynell machten wir uns etwas Sorgen.
Die erste Entscheidung gab es dann auch wirklich am achten Brett: Ilja Schneider spielte das ungenaue 15. … Dc7 (statt Da6) und gab Dirk Sebastian damit die Chance, einen klaren Vorteil zu erringen - obwohl er nur die zweitbeste Fortsetzung wählte, ließ er danach nichts mehr anbrennen und machte seinen ersten vollen Punkt in dieser Saison. Sorgenvoll blickten wir zwei Bretter weiter zu Oliver Reeh, dessen Figuren nach einer Abwicklung in einer französischen Nebenvariante keine Koordination mehr hatten und der dann auch verlor. Zuvor allerdings hatte Jan Gustafsson am anderen Ende des Wettkampfes seine Stellung konsolidieren können und bequemen Ausgleich erhalten - im 34. Zug folgte der Friedensschluss. Mit einem sehenswerten Bauernopfer zur Räumung des Feldes d5, dem wenig später auch noch ein Qualitätsopfer folgte, knackte dann Lubomir Ftacnik Rainer Polzins Königsinder.


GM Dr. Karsten Müller: Mit 2 aus 2 der Gewinner des
Wochenendes!

Als auch Karsten Müller die offene f-Linie zu interessanten Figurenmanövern nutzen konnte und einen Bauern nach dem anderen abräumte, hatten wir schon einmal vier Punkte zusammen und durchaus noch berechtigte Hoffnung auf mehr: Die Zeitnotphase an Brett 3 bei Robert Kempinski mit Schwarz gegen Lars Thiede und zwischen Sune Berg Hansen gegen Stephan Berndt an Brett 4 war allerdings nervenaufreibend. Sune hatte im letzten Jahr Stephan Berndt nach einer strategischen Meisterleistung, gekrönt von einem tollen Figurenopfer, matt gesetzt und sich auch diesmal mit einem auf den ersten Blick harmlosen geschlossenen Sizilianer einen klaren Vorteil im Endspiel erarbeitet. In Stephan Berndts Zeitnot - er hatte noch circa 3, Sune Berg Hansen noch 9 Minuten - griff er jedoch à tempo fehl und stellte einen Springer ein. Zwar kämpfte er noch 20 Züge weiter, um vielleicht den letzten Bauern tauschen zu können, doch als dies nicht gelang, musste er deprimiert aufgeben. Parallel hatte es in der Zeitnot von Lars Thiede und Robert Kempinski eine Abwicklung gegeben, die Lars zwar einen entfernten Freibauern verschaffte, nach der aber alle seine Figuren passiv standen, so dass Robert Gelegenheit hatte, seine Figuren zu aktivieren und insbesondere die Stärke seines Läufers auszuspielen. Seinen Vorteil verwertete er sicher zum Sieg und zum 5:3 für den HSK und damit zum 9. Mannschaftspunkt dieser bisher wirklich schön verrückten Saison!

6. Runde: Gegenhalten - 4:4 gegen Bindlach-Aktionär
Trotz unser unerwartet hohen Punkteausbeute und unseren komfortablen neun Mannschaftspunkten blieben wir am Samstag Abend solide und ertrugen stoisch die Nullnummer des HSV gegen Nürnberg - nach dem gnadenlos überzogenen „Wetten, dass…?“ aus Bremen. Am nächsten Morgen mussten wir unsere nette Hotelwirtin erst wecken, um an ein stärkendes Frühstück zu kommen, das aber dann seinen Zweck erfüllte: Wir schafften es in dem Wettkampf gegen die starken Aufsteiger aus Bindlach, gegenzuhalten und hatten zwischendurch sogar realistische Hoffnungen auf eine kleine Sensation.


„Klaus & Klaus“ aus Bindlach: MF Klaus Steffan (l.) und Präsident Klaus Mühlnikel

Als mich der Bindlacher Mannschaftsführer und Webmaster Klaus Steffan nach circa zwei Stunden zum Audiokommentar bat - die Bindlacher stellen auf ihrer guten Webseite immer Audiokommentare der Spieler zu ihren Partien zur Verfügung, ein toller Service und eine super Idee, wie ich finde - war ich mir der Schwere der Aufgabe natürlich durchaus bewusst, sah jedoch einem spannenden Wettkampf entgegen und konnte sogar schon am Spitzenbrett in der prestigeträchtigen Partie zwischen Jan Gustafsson und Arkadij Naiditsch einen Vorteil für uns Hamburger ausmachen.
Nachdem Robert Kempinski früh gegen Vladimir Bakler Remis gemacht hatte und auch Thies Heinemann gegen Dr. Igor Stohl remisieren konnte, stand es 1:1. Und schon vor der Zeitnot besiegte Jan Gustafsson dann auch wirklich die deutsche Nr. 1 in einer sehenswerten Partie mit Spiel auf ein Tor: „Er hat mich mit seinem Benoni provoziert“, meinte Jan Gustafsson nach der Partie und wir waren angenehm überrascht, dass er schon nach 16 Zügen klaren Vorteil hatte und die Partie mit sauberer Technik nach Hause fuhr. Dieser Sieg hatte dann vielleicht auch Signalwirkung für die Mannschaft, in jedem Falle war er sehr wichtig: Lubomir Ftacnik fischte parallel im Trüben gegen einen aggressiv aufspielenden David Navara, der in diesem interessanten Najdorf-Sizilianer den Ausgleich für die Franken machte.


Analyse der Partie David Navara (vorne l. am Brett) gegen Lubomir Ftacnik

Sune Berg Hansen hielt in einer Berliner Verteidigung das Remis gegen David Baramidze, wobei ich die Stellung wohl schwieriger eingeschätzt hatte, als sie wirklich war, denn mir wurde nach der Partie von verschiedenen Seiten versichert, dass die Punkteteilung nie gefährdet war.


Kann Karsten Müller sein Endspiel gewinnen? Michael Lucas, Martin Breutigam,
Thies Heinemann und Jan Gustafsson fiebern „live“ mit (v. l.).

Dramatisch und faszinierend dann die Zeitnotphase von Dr. Karsten Müller gegen Michael Prusikin. Karsten musste hier mit Weiß gegen seine Lieblingseröffnung antreten, und lange Zeit sah es eigentlich so aus, als könnte er keinen Vorteil erreichen und vielleicht auch leicht schlechter stehen. So dachte auch Michael Prusikin, der dem Remis auswich und Karsten so die Gelegenheit zum aktiven Gegenspiel gab. Mit einer kreativen Idee gelang es Karsten zunächst, seinen bis dato ziemlich nutzlosen Springer zu aktivieren und außerdem seinen Turm unangenehm nach b7 „zu schrauben“, schließlich konnte er diese Politik der kleinen Schritte dann noch mit einem tollen Springeropfer für zwei Bauern krönen und - natürlich bis aufs letzte Tempo ausgerechnet - zuerst umwandeln.


„Was ist schief gelaufen?“, fragt Michael Prusikin (vorne r. am Brett) in seiner
Analyse mit Karsten Müller.

Klasse, vier Brettpunkte für den HSK! Die letzte laufende Partie hatte der an diesem Wochenende unglückliche Oliver Reeh, der sich um den 20. Zug herum auf eine Schwächung seiner Bauernstellung einlassen musste und sich dann weitere 40 Züge von Klaus Bischoff, dem solche Stellungen natürlich wie fast keinem anderen liegen, quälen zu lassen. Oliver verteidigte sich zäh und deshalb war es auch sehr unglücklich, dass er nach geschaffter 2. Zeitnot und dem 60. Zug seine verbleibenden 5 Minuten innerhalb von zwei Zügen abtickern ließ, weil ihm nicht mehr bewusst war, dass die Bundesliga die Spielzeit seit letzter Saison von sieben auf sechs Stunden verkürzt hat … Sehr bedauerlich natürlich für Oliver, doch für uns bleibt der hart aber verdient erkämpfte 10. Mannschaftspunkt dieser Saison!

Eva Maria Zickelbein
Fotos: Eva Maria Zickelbein / Klaus Steffan

Zurück