Die Bundesliga an historischer Stätte
Rainer Polzin von den Schachfreunden
Berlin gebührt das Verdienst zweier besonderer Premieren an einem historischen Ort. Die
Schachbundesliga veranstaltete zum ersten Mal in ihrer langen Geschichte von Jahren ein
größeres Ereignis: Statt des üblichen Quartetts trafen sich acht Mannschaften, also
die halbe Liga zu insgesamt zehn (statt vier) Wettkämpfen an einem
Wochenende, Vorstufe eines in der Zukunft geplanten Events mit allen sechzehn Mannschaften
an einem Ort: zum Auftakt oder zum Finale einer Saison. Die zweite Premiere war die erste
Versammlung des Schachbundesliga e.V., der am 3. Februar in Berlin gegründet wurde und
sich vorgenommen hat, die 1. Bundesliga für die Zuschauer vor Ort und im Netz, aber auch
für ihre Spieler und Vereine noch attraktiver zu machen.
Der Schachbundesliga e.V. verdankt seine erste große Veranstaltung der Vorausschau und
der organisatorischen Konsequenz ihres in Berlin gewählten Vizepräsidenten Rainer
Polzin. Er hatte von der frühen Planung dieses gemeinsamen Termins im Sommer 2006 bis zur
zeitintensiven Vorbereitung der Gründungsversammlung des Schachbundesliga e.V. alles im
Griff und gewann nicht nur den SC Kreuzberg als den zweiten ausrichtenden Berliner Verein,
sondern fand mit dem geschichtsträchtigen Schöneberger Rathaus und seinem Festsaal einen
würdigen Rahmen für dieses Event, zu dessen Gelingen natürlich das gesamte
Team der Schachfreunde Berlin beitrug. In der Galerie vor dem Spielsaal versammelte sich
besonders am Sonnabend außer den vielen Gästen aus ganz Deutschland - auch der
Olympia-Ausschuss des Deutschen Schachbundes tagte im Schöneberger Rathaus - fast die
gesamte Berliner Schachszene und wurde liebevoll und zugleich köstlich mit hausgebackenem
Kuchen der Familie Hein versorgt und mit Buletten, wie es sie eben nur im Berlin gibt.
Endlich kann ich mal eine Bulette bestellen, ohne fragend anguckt zu werden:
Frikadelle, oder was? schrieb meine Tochter, die Tochter eben eines
Märkers, im Live-Ticker für HSK Fans.
Rainer Polzin, die Seele (eigentlich der Kampfgeist) der Schachfreunde Berlin,
verzichtete am Sonnabend zugunsten der Gründungsversammlung des Schachbundesliga e.V.
sogar auf seinen Einsatz in der Mannschaft und gab damit ein Beispiel, das Schule machen
sollte: Alle Vereine der Liga müssen lernen, dass sie sich für ihre gemeinsame Sache
einsetzen müssen. Dann werden wir auch eines Tages die Schwierigkeiten mit anfälliger
Software bei unseren Live-Übertragungen, die leider auch in Berlin wieder das Bild
trübten, überwinden.
Wegen der besonderen Bedeutung dieses
Berliner Ereignisses musste seine Darstellung der Berichterstattung von den
Schachwettkämpfen vorangestellt werden. In ihrem Zentrum steht für uns natürlich der
HSK, der sich in Berlin im Vorderfeld der Liga behauptete, aber auch die Ergebnisse der
anderen Mannschaften sollen zunächst kurz kommentiert werden.
Traurig war das Berliner Wochenende für die Schachfreunde Berlin, die die
Hauptlast seiner Ausrichtung trugen: Drei Niederlagen z.T. unglückliche Niederlagen
machen den Abstiegskampf so schwierig wie nie zuvor. Der SK König Tegel verlor
auch dreimal, hatte aber gegen uns große Chancen, seinen ersten Wettkampf zu gewinnen
(dazu später mehr). Gewinner des Berliner Wochenendes war der SV Wattenscheid, der
zunächst den TSV Bindlach-Aktionär und dann die Schachfreunde Berlin im
Vier-Punkte-Match schlug und sich aus der Abstiegszone abgesetzt haben dürfte
und noch einen Mannschaftspunkt vor unserem Reisepartner Werder Bremen liegt, der
auf seiner Homepage den Sieg gegen den SK König Tegel in einer Seuchensaison
nach der 3-5 Niederlage gegen den SC Kreuzberg als Trostpflaster wertet
und den Abwärtstrend gestoppt sieht. Der SC Kreuzberg behauptete nach dem
Unentschieden gegen uns einen Mannschaftspunkt Vorsprung vor der SG Aljechin Solingen,
die zwar die Schachfreunde Berlin 5-3 schlug, aber am Sonntag dem TSV
Bindlach-Aktionär mit dem gleichen Ergebnis unterlag. Die Franken hatten schon am
Freitag ihren Reisepartner geschlagen und uns aus den Medaillenrängen
verdrängt. Zwar hievten wir uns am Sonnabend mit dem glücklichen Sieg gegen die Tegeler
Freunde noch einmal auf Rang 3, aber am Sonntag bedeutete das hart erkämpfte 4-4 gegen
den SC Kreuzberg den Absturz auf Platz 5, allerdings nach Mannschaftspunkten immer noch
gleichauf mit der SG Porz und den fränkischen Aktionären - wir sind also vorerst nicht
gestürzt, sondern weich hinabgeschwebt.
Die HSK Kämpfe in Berlin
Die beiden schnellen Schwarz-Remisen von Jan Gustafsson gegen René Stern und von Robert Kempinski gegen Drazen Muse beunruhigten uns nicht, schien der Wettkampf gegen den SK König Tegel insgesamt doch den erwarteten Verlauf zu nehmen. Kurz bevor Alexander Laas im Olympia Stadion den HSV gegen Hertha BSC mit 1-0 in Führung schoss, hatte auch Thies Heinemann im Schöneberger Rathaus in nur 21 Zügen gegen Torsten Sarbok die 2-1 Führung für den HSK erspielt, und auch in den fünf verbliebenen Partien kündigte sich keine verhängnisvolle Entwicklung an. Doch als der HSV das 1-1 hinnehmen musste, mussten wir schon zufrieden sein, dass Karsten Müller, der zunächst ein Remisangebot von Rainer Tomczak abgelehnt hatte, kurz vor der Zeitkontrolle in verwickelter Stellung Frieden schließen konnte. Weniger glücklich war Oliver Reeh, der als Schwarzer in ein verlorenes Damenendspiel geriet, das ein Freibauer zugunsten von Ulf von Herman entschied: Der SK König Tegel hatte nicht nur zum 2 ½ - 2 ½ ausgeglichen, sondern witterte die große Chance zum Matchgewinn. Lubomir Ftacnik hatte seinen Vorteil gegen Mladen Muse vergeben - statt kurz vor der Zeitkontrolle die Damen zu tauschen und in ein besseres Endspiel mit guten Gewinnaussichten abzuwickeln, mit dem einzigen Risiko, dass das Endspiel vielleicht doch nicht zu gewinnen wäre, wollte er im Angriff gewinnen und lief in einen Konter. Er rettete sich in ein Endspiel mit Turm gegen Turm und Bauer, das er hätte halten können, aber in der zweiten Zeitnot verlor: 2 ½ - 3 ½. Ich konnte die Spannung nicht mehr aushalten und nach nur noch halb abgewehrten Glückwünschen an die Tegeler Freunde verabschiedete ich mich mit Karsten Müller, wie ich war auch er stark erkältet, zum Italiener Masaniello. Dort unterbrach um 20.05 Uhr Evs Anruf für fünf Minuten die Bestellung meiner Pizza, weil ich Unglaubliches mehrfach nachfragen musste: Radoslaw Wojtaszek und Dirk Sebastian hatten die erwartete Niederlage abgewendet und nicht nur ein noch schwach erhofftes Unentschieden erkämpft, sondern den knappen Sieg, den uns die Werderaner auch in den schwärzesten Minuten des Wettkampfes prophezeit hatten: Radek hatte sein Endspiel mit ungleichen Läufern und zwei gegen einen Bauern gegen den kaum schlagbaren Robert Rabiega (4 ½ aus 9 mit einer Performance von 2652!) tatsächlich gewonnen, und Dirk Sebastian hatte gegen Jörg Pachow eine wilde Zeitnotschlacht, in der beide mehrfach der möglichen Zugwiederholung ausgewichen waren, für sich entschieden. Jörg hatte Dirk mit einem Figurenopfer im Endspiel unter Druck gesetzt. Als ich ging, schien Dirk kaum noch einen Zug zu haben, doch war wohl alles nicht ganz so dramatisch; allerdings gab auch erst Jörgs unerbittliches Spiel auf Gewinn Dirk die Möglichkeit, seinerseits mit zwei Leichtfiguren gegen Turm und Bauer zu gewinnen: 4 ½ - 3 ½. Nun versuchten wir die Tegeler und insbesondere ihren Vorsitzenden Manfred Rausch zu trösten, doch sie waren kaum trostbedürftig, sondern ertrugen auch diese Enttäuschung gefasst und gratulierten uns zum nun gesicherten Klassenerhalt. Und in der nächsten Saison freut sich unsere Zweite, immer ein wenig zitternd, auf die freundschaftlichen Begegnungen mit dem SK König Tegel, der uns beim Rosengartenturnier in Forst und so manchem Blitzvergleich auch wieder einmal hinter sich lassen wird.
Der SC Kreuzberg bereitete uns am
Sonntag Morgen eine Überraschung: Levon Aronian, der das Match gegen Werder Bremen am
Spitzenbrett vielleicht etwas glücklich in der Zeitnot Luke McShanes zugunsten seiner
Mannschaft entschieden hatte, setzte ebenso aus wie Stefan Löffler; für sie spielten
Elisabeth Pähtz und Atila Figura, gemeldet am Jugendbrett. Radek und Robert meinten
trocken: Eine Überraschung, aber eine gute! Und dennoch entwickelte sich der
Wettkampf nicht so angenehm, wie die schwächere Formation der Kreuzberger verhieß. Im
Gegenteil, schon nach gut drei Stunden lagen wir mit 1-3 zurück und hatten keine Ahnung,
wer die beiden Partien zum Ausgleich gewinnen sollte. Jan Gustafsson (gegen Bartosz Socko)
und Oliver Reeh (gegen Karsten Volke) hatten aus ihren Weiß-Partien nichts herausholen
können; Lubomir Ftacnik war Thomas Luther in eine aktuelle Anand-Partie aus Wijk aan Zee
geraten und in den Verwicklungen schon nach 24 Zügen gestrauchelt, und Karsten Müller
hatte sich, um der Berliner Galerie eine Freude zu machen, von dem an diesem Wochenende
mit 2 ½ aus 3 groß aufspielenden Schach-Chefredakteur Raj Tischbierek in Verluststellung
matt setzen lassen. Zwar standen wir in allen vier offenen Partien nicht chancenlos, aber
die Berliner hatten eben ihre Tauben schon in der Hand, während wir sie noch vom Dach
holen mussten. Noch vor der Zeitkontrolle setzte Dirk Sebastian die Leiter an und holte
Atila Figura vom Dach: Ein Bauernopfer in der Eröffnung hatte Atila nicht vom weißen
Druck hatte entlasten können, so dass er die Dame für Turm und Läufer geben musste und
bei offener Königsstellung keine Chance mehr hatte, weiteren Materialverlust abzuwenden.
Beim Stand von 2-3 aus unserer Sicht musste Radoslaw Wojtaszek als Schwarzer mit einem
mikroskopischen Vorteil im Endspiel gegen Gabriel Sargissian schweren Herzens das
Remisangebot ablehnen, und auch Thies Heinemann, ebenfalls mit Schwarz, musste sich in
einem fast gleiches Endspiel mit Turm, Springer und je vier Bauern auf dem Königsflügel
gegen die U20-Weltmeisterin Elisabeth Pähtz quälen. Während Elisabeth Pähtz nach dem
Punkt mit ihrem Gegner Thies Heinemann (und vielen anderen herbeiströmenden
Schachfreunde) in der Galerie vor dem Turniersaal ihren selbstgebackenen Kuchen teilte,
ging Robert Kempinski daran, die etwas realistischeren Hoffnungen, die wir in ihn gesetzt
hatten, zu erfüllen. Er hatte sich im Schwerfigurenendspiel gegen Sergey Kalinitschew
einen Freibauern und die Möglichkeit erarbeitet, aufgrund seiner besseren Königsstellung
mit Dame und Turm so geschickt zugleich den gegnerischen König und einen Bauern zu
bedrohen, dass Schwarz die Dame geben musste, ohne die Chance auf einen Festungsbau zu
erhalten. Kaum hatte Robert gewonnen und den Wettkampf ausgeglichen, einigten sich auch
Radek und Gabriel am fast leeren Spitzenbrett auf Remis, und mit dem 4-4 waren beide
Mannschaften sichtlich zufrieden. Die Kreuzberger haben sich an einem erfolgreichen
Wochenende mit 5-1 Punkten und vor allem einem Sieg gegen Werder Bremen vom 8. auf den 6.
Platz verbessert, und dank der starken Leistung unserer polnischen Freunde Radek und
Robert (1 ½ aus 2) und Dirk Sebastians (2 aus 2) teilen wir ja immer noch beinahe einen
Medaillenrang! Entsprechend schwebten wir auch auf der Heimfahrt noch immer auf Wolke 7,
zumindest die auf das Handball-Finale versessene Nachhut mit Jan Gustafsson, Dirk
Sebastian und den drei Zickelbeinen - mein Sohn fuhr mit uns zurück. Nach dem
Weltmeistertitel, errungen auf der Raststätte Walsleben-Ost, fuhr Ev euphorisch los, ohne
ihren Tank zu prüfen, kurz vor der nächsten Tankstelle Stolpe war dann auf einem Feldweg
zwischen mecklenburgischen Dörfern erst einmal Schluss. Wie gut, dass Mink und ich nicht
davongebraust waren, sondern den merkwürdig langsamen Seat im Rückspiegel behalten
hatten
Die Anfahrt zur Autobahn-Tankstelle Stolpe über Feldwege war ähnlich
schwierig und langwierig wie das Match gegen den SK König Tegel, endete aber auch mit
einem Happy end, und die drei ohne Tankstelle hatten inzwischen den schönen bestirnten
Himmel über sich wahrgenommen statt zu fluchen. An guten Tagen ist alles auszuhalten. Und
Dirk hielt sogar seine Verpflichtung für die Bundesliga-Analyse am Montag Abend im HSK
Schachzentrum aus, die wir aus seinen insgesamt 4 aus 6 (mit Kurs auf die dritte IM-Norm!)
ableiteten, für die wir auch schon unseren Freund Alexander Naumann von der SG Aljechin
Solingen gewonnen hatten: Die beiden wurden von einem begeistertem Publikum gefeiert.
Am 24./25. Februar sind wir dann im Bremer Weser-Stadion zu Gast. Dort wird am Sonntag
Nachmittag nach unserem Match gegen den SV Wattenscheid - am Sonnabend spielen wir gegen
die SG Aljechin Solingen - der FC St. Pauli gegen die Amateure von Werder Bremen Fußball
spielen. Schlachtenbummler kommen also doppelt auf ihre Kosten! Wer am Montag, 26.
Februar, wie immer um 19 Uhr die Bundesliga-Analyse machen wird, kann aber noch nicht
verraten werden.
Christian Zickelbein
SK König Tegel - Hamburger SK von 1830
(Die Spieler des HSK sitzen jeweils am Brett links)
Brett1: GM Radoslaw Wojtaszek (l.) - GM Robert Rabiega
Brett 2: GM Jan Gustafsson (l.) - IM René Stern
Brett 3: GM Lubomir Ftacnik (l.) - GM Mladen Muse
Brett 4: GM Robert Kempinski (l.) - IM Drazen Muse
Brett 5: GM Dr. Karsten Müller (l.) - FM Rainer Tomczak
Brett 6: IM Oliver Reeh (l.) - IM Ulf von Herman
Brett 7: IM Thies Heinemann (l.) - FM Torsten Sarbok
Brett 8: Dirk Sebastian (l.) - FM Jörg Pachow
Fotos: Eva Maria Zickelbein