Intime Kenner und Liebhaber der vorliegenden Kolumne werden an dieser Stelle sowohl den szenischen Einstieg („Wir trafen uns kurz vor 19 Uhr im Spiellokal…“) als auch die leicht wehmütigen Reminiszenzen („Was waren das noch für Zeiten, als das Caissamobil…“) vermissen. Damit sind wir auch schon mitten drin im 8. Spieltag, denn unser Chronist – und Brett 2 – Armin fehlte entschuldigt. Da wir weitere, auch kurzfristig erfolgte Absagen verkraften mussten und es mit Ersatz aus unserer Schwestermannschaft HSK XXVIII nicht so recht klappen wollte, hatte unser Captain Sebastian im Vorfeld alle Hände voll zu tun. Und wer ihn kennt, weiß: er liebt sportliche Herausforderungen. Und nein, wir lassen kein Brett unbesetzt. Wir nehmen die von unserem Ehrenvorsitzenden ausgegebene Devise ernst, wäre ja noch schöner! Sebastians Hartnäckigkeit manifestierte sich dieses Mal in Form eines kurzerhand georderten Taxis, dem dann, kurz bevor die Uhren gestartet wurden, unser jugendlicher 8. Mann entstieg. Ready to rumble!
Der Verfasser dieser Zeilen bekam zu seinem Leidwesen recht zügig die Gelegenheit, sich ausführlichst seinen für diesen Bericht notwendigen Notizen zu widmen. Bereits gegen 20:30 Uhr reichte ich meine Hand als Zeichen der Aufgabe über den Tisch. Bis dahin hatte ich mir als Weißer eine gute Stellung erspielt, mit leichtem Vorteil dank aktiver Aufstellung meiner Leicht- und Schwerfiguren. Lange, sehr lange, also wirklich überaus lange überlegte ich, wie ich den Druck wohl erhöhen und so meinen Vorteil ausbauen könnte, nur um dann ein Musterbeispiel aus der beliebten Reihe: „Weiß am Zug verliert“ zu geben. Mein Springer schlug den gegnerischen Läufer, was mein Gegner… einfach ignorierte. Vielmehr setzte er zu einem 3-zügigen Mattangriff an. (Weit mehr als das Hadern mit der eigenen Unzulänglichkeit schmerzen bei einem so frühen Ende die leicht mitleidsvollen Blicke der Umstehenden und -sitzenden.)
Peter an Brett 6 war ähnlich schnell wie ich, machte seine Sache jedoch ungleich besser. Er hat unserer Mannschaft in dieser Saison schon eine Reihe wichtiger Siege beschert. Heute sollte ein souveräner dazu kommen: Peter hatte als Weißer schon eine solide Figur mehr, als ich zum ersten Mal auf sein Brett sah. Doch er brauchte diesen Springer gar nicht, so schien es. Peter verdoppelte ruhig seine Türme auf der offenen d-Linie und brach wenig später in das schwarze Lager ein. Kurz darauf gab sein Gegner auf; es war noch nicht 21 Uhr. Nun stand es 1-1.
Unser Captain (heute an Brett 3) hatte sich für eine historische Miniatur entschieden. Tadelloser Mannschaftsführer, der er ist, wollte er uns anderen - wir befinden uns immerhin mitten im Abstiegskampf - einmal mehr ein leuchtendes Vorbild an Mut und Kampfeskraft geben. An seinem Brett entwickelte sich die Schlacht an den Thermophylen. Und das kam so: Sein persischer Kontrahent tischte ihm die Wiener Partie auf und offerierte ihm als Weißer im 3. Zug mit f4 ein Gambit. Leonidas wäre nicht Leonidas, würde er nicht sofort zuschlagen. (Hatte ich schon gesagt, dass Sebastian sportliche Herausforderungen liebt?) Er nahm den angebotenen Bauern, und schon hatten wir mit der halboffenen e-Linie (die sich rasch gänzlich öffnen sollte) unseren Pass, der in der Folge hart umkämpft sein würde. Immer mehr persische Kämpfer drängten dorthin, doch König Leonidas blieb standhaft in der Brettmitte. Ein Herrscher aus Sparta steht seinen Mann… Der schwarze König kämpfte und kämpfte, auch als die Reihen um ihn herum sich merklich zu lichten begannen. Ein Merkmal von Geschichte ist, dass sie irreversibel ist: Und so war Sparta ein glücklicheres Ende auch dieses Mal nicht vergönnt. 1-2 für Barmbek, kurz nach 21 Uhr.
Die Performance von Sebastian an Brett 3 strahlte auf unser Brett 5 aus – Michael kämpfte ebenfalls wie ein Löwe und darf sich zweifelsohne bei den 300 Hopliten einreihen! Er konnte seine Partie lange ausgeglichen gestalten, auch wenn die Stellung seines Gegenübers etwas angenehmer zu spielen war. Erst im Übergang zum Turmendspiel begannen sich Vorteile für seinen Gegner mit den weißen Steinen abzuzeichnen. Dieser hatte irgendwann drei Bauern mehr, dann vier, dann fünf… schließlich sogar sechs. Und Michael?... Kämpfte! Hallo?! Ehrensache. Abstiegskampf, siehe oben! Erst als sein Gegner den ersten der marschierenden Freibauern in eine Dame umwandelte, gab Michael auf.
Unser jugendlicher Joker, „Taxi-Mann“ Leif, machte seine Sache sehr gut, um es gleich vorwegzunehmen. Um sich zu akklimatisieren, baute er sich zunächst eine solide, königsindische Struktur auf. Das gab ihm erst mal Zeit und Ruhe. Letztere benötigte er meines Erachtens gar nicht: Vom ersten Zug an spielte Leif sehr abgeklärt, seine Stellung hatte keine Schwächen, den Avancen seines Gegners setzte er möglichst aktive Züge entgegen. Im Zentrum wurde dann eine Reihe von Bauern abgetauscht. Und es gelang Leif, dem Gegner einen isolierten Bauern zu verschaffen. Zu diesem Zeitpunkt war das Spielmaterial schon etwas ausgedünnt. Keiner der Kontrahenten sah mehr ein rechtes Vorankommen, und so wollte man sich auf Remis einigen. Das war mit Leonidas natürlich nicht zu machen! Er schüttelte ernst das königliche Haupt und drückte Leif sein Schwert wieder in die Hand. Doch es half nichts, der Kampf wogte noch etwas hin und her, dann stand das Remis fest. Es stand nun 1,5-3,5 gegen uns. Zu diesem Zeitpunkt hegte ich noch eine gewisse Hoffnung: Daviti an Brett 1 und Christian an Brett 4 standen zumindest nicht schlechter als ihre Gegner; Roberto gestaltete seine Partie sehr vorteilhaft für sich.
Roberto hatte sich an Brett 8 einen deutlichen Vorteil erspielt. Mir war so, als hätte er zwischenzeitlich schon einen Läufer mehr. Doch als die Stellung sich wenig später öffnete, ergab sich eine Reihe von Komplikationen – und plötzlich war die Mehrfigur wieder weg. Das brachte Roberto jedoch keineswegs aus der Ruhe. Im nun entstandenen Endspiel spielte er mit Läufer und Turm gegen Springer und Turm. Einige Bauern waren auch noch auf dem Brett, Roberto behauptete die Initiative und es gelang ihm rasch, zwei Bauern zu erobern. Als die Leichtfiguren abgetauscht waren, schickte er zwei – von Turm und König geschützte – verbundene Freibauern auf den Weg. 2,5-3,5. Dieser volle Punkt ist unsere Partie des Tages.
Kommen wir zu James Bond. Unser 007 an Brett 4 benötigt keine Extra-Einladung seiner königlichen Majestät, um es spannend zu machen. Mit einem simplen Zweikampf ist es für ihn nicht getan, das kann ja jeder. Erst wenn er – halb über dem Abgrund hängend, mit der einen Hand die glutäugige Schöne vor dem Absturz bewahrend, mit der anderen am Zünder des Sprengsatzes, der jeden Augenblick zu detonieren droht, hantierend – sich urplötzlich einer Reihe von Schurken gegenübersieht, kommt er so richtig in Fahrt. Wir, seine Mannschaftskameraden, kennen das bereits. Doch einem zufällig vorbeikommenden Kiebitz stockt bei Christians Spezialeinsätzen schon mal der Atem. Dieses Mal hatte er noch drei Minuten für 20 Züge bis zur Zeitkontrolle. Muss ich dazu sagen, dass die Stellung äußerst komplex war? Unser Geheimagent machte das Beste daraus, schaltete eine Reihe von Gegnern aus, spielte mit den verbliebenen „Katz und Maus“ (die ein oder andere Zugwiederholung brachte Christian dem 40. Zug schneller näher) und rettete sich so in die Overtime. Doch er hatte die Rechnung ohne Goldfinger gemacht. (Wir wollen nur im Bild bleiben, eine tatsächliche Ähnlichkeit zwischen Christians Gegner und Gert Fröbe bestand nicht.) Im Endspiel bekam dieser einen Randbauern frei, den er wenig später in eine Dame wandelte, die Bond kurz darauf eine geladene 45er an die Stirn hielt. Für gewöhnlich lässt unser Held sich von Frauen nicht einschüchtern, ganz im Gegenteil – doch hier gab er auf. Over and out. 2,5-4,5
Christian und Daviti beendeten ihre Partien fast zeitgleich. Auf Davitis Brett waren lange Zeit ineinander verkeilte Bauernketten zu erkennen gewesen. Davitis Gegner hatte etwas mehr Raum für seine Figuren. Gleichwohl erschien die Partie lange Zeit ausgeglichen und wurde von beiderseitigem Lavieren bestimmt: Daviti und sein Gegner führten ihre Schwerfiguren jeweils zum einen Flügel, dann zum anderen und wieder zurück. So ging das geraume Zeit, wobei beide Kontrahenten darauf achteten, dass das Zentrum geschlossen blieb. Kurz vor 23:00 Uhr erlaubte sich Daviti eine kleine Unachtsamkeit. Dies ermöglichte seinem Gegner den finalen Durchbruch am Königsflügel mit tödlichem Angriff auf den schwarzen Monarchen. Daviti gab folgerichtig auf.
Wir hatten den Wettkampf mit 1-7 verloren… so stand es zumindest kurze Zeit später auf der Website des Verbandes. Unter einem * war im Kleingedruckten zu lesen: Unsere zwei Ersatzspieler hätten, auf Grund vorangegangener Einsätze für weitere HSK-Mannschaften, nicht für uns spielen dürfen. Die 1,5 Punkte von Leif und Roberto würden aberkannt. Das konnte jedoch rasch geklärt werden [Leif stand statt mit der Nr. 198 als Nr. 196 auf dem Spielbericht. ChZ] – es blieb schlussendlich beim 2,5-5,5 und einigen von Aufregung geprägten mitternächtlichen Kurznachrichten.
Danksagung: Danke an Barmbek für einen kurzweiligen Abend bei unser aller liebstem Zeitvertreib. Danke an Sebastian dafür, dass sich in unseren Reihen auch in der 8. Runde keine Lücken aufgetan haben. Sebastian gebührt auch der Dank dafür, dass Leif zu vorgerückter Stunde schnell und sicher wieder nach Hause kam. Leif wiederum gebührt der Dank dafür, spontan bei uns eingesprungen zu sein. Gleiches gilt für Roberto – jeder Zeit wieder, Ihr beiden! Danke an Christian (Zickelbein) und Sebastian für den noch am selben Abend formulierten Protest angesichts der (Fehl-) Wertung. Danken möchte ich abschließend meiner Frau, die sich in den letzten anderthalb Stunden um unsere beiden Kinder gekümmert hat, sodass dieser Bericht Form annehmen konnte. Finis.